Frohe Weihnachten – Demut und andere Gefühle,…

Frohe Weihnachten – Darf man das? Jetzt, im Moment? Ja, schon einmal vorne weg. Ich wünsche Ihnen von Herzen frohe Weihnachten und ein unsagbar tolles neues Jahr! Nur damit Sie mich nicht falsch verstehen,…

Meine lieben Leserinnen und Leser! Dieses Jahr gibt es von mir sogar einen richtigen Artikel zu Weihnachten. Eine Geschichte, von mir, aus mir und direkt für Sie! Ein virtuelles Geschenk, ein Gefühl, dass ich Ihnen vermitteln möchte.

Wie geht es Ihnen? Und ich meine das nicht rhetorisch. Ich meine das ernst!

Wie geht es Ihnen?

Und – noch viel wichtiger, wissen Sie, dass es Ihnen verdammt gut geht?

Jetzt schreien Sie erbost auf. Was erdreistet sich die olle Kuh im Internet und schreibt mir vor, wie es mir gehen soll? Woher möchte die wissen, wie es mir so geht? Ich habe doch Fußpilz! Und ab und an so ein Zwicken im linken Knie! Gut, vielleicht geht es Ihnen wie mir und Sie schlagen sich mit einer fiesen Krankheit herum. Autoimmun, chronisch, nicht heilbar.

Und doch Sie sitzen am Rechner, in Ihrer hoffentlich muckelig warmen Wohnung. Oder an Ihrem Smartphone, in den öffentlichen Verkehrsmittlen. Wehe, Sie gucken im Auto. Dann rede ich jetzt nicht mehr mit Ihnen und verbiete Ihnen, künftig meinen Blog zu lesen. Also, wenn Sie selbst Auto fahren und gleichzeitig Internet surfen. Das ist unverantwortlich gegenüber sich selbst und unseren Mitmenschen! Als Beifahrer ist das ja wieder was anderes,…

Warum reite ich

so auf meiner Theorie herum? An Weihnachten? Warum behaupte ich, dass es uns allen, im Großen und Ganzen gut geht? Und warum vor diesen, den jetzigen, Festtagen?

Nun,…. Mich treibt schon seit Jahren etwas, genau in dieser Jahreszeit, in der Zeit um Weihnachten, um. Der Stress, die Aktionen, die wir uns auferlegen, werden jedes Jahr mehr. Jedes Jahr kommt noch eine Weihnachtsfeier dazu, ein Konzert mehr, eine weiter Verpflichtung, die uns und unsere Familien mehr in das weihnachtliche Konsum Mahlwerk einbindet. Uns noch eingehender suggeriert, was wir alles nicht haben, noch brauchen, machen müssen. Welche Bekleidung gerade hip ist, welches Smartphone, Tablett, Statussymbol.

Haben Sie denn schon alle Geschenke gekauft, bestellt, bei der Post abgeholt? Schon alle Mails, Postkarten (hach, wie schön altmodisch und wunderbar), Päckchen und Postings abgeschickt? Niemanden vergessen? Sicher?

Wurde denn schon ausreichend Plätzchen gebacken, gekauft? Oder noch eine Marzipantorte, Spekulatiustiramisu, Glühweingelee, Bratapfelkompott hergestellt, verschenkt und selbst gegessen? Sind denn schon alle 7 Gänge für das Prä-Weihnachtsmenü vorbereitet? Und den heiligen Abend? Der Brunch für den 1. Weihnachtsfeiertag geplant? Und überhaupt auch für die Feiertage ausreichend Lebensmittel gehortet?

Hach, ich hätte fast den Wein vergessen. Da war ich doch letztens erst auf einem Event von YouDinner. Um ausreichend Auswahl an Weinen zu haben. Gut und um mir die Birne äh, zuzuschütten. Das weihnachtliche Chaos kurz zu vergessen. Das hab ich jetzt aber quasi nicht laut gesagt, also pssssst!

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Ich hatte ja

schon von meiner kleinen Auszeit, dieses Jahr vor Weihnachten, berichtet. Der kurzen Unterbrechung aller weihnachtlicher Verpflichtungen. In der Brasserie am Luisenplatz in Wiesbaden. Das war Luxus pur für mich und so lecker!

Und nun möchte ich Ihnen eine kurze Anekdote erzählen. Von Frau B. mit 16 Jahren, oder war ich 17? Hm,… ich muss nochmal nachschauen. Ist ja schon durchaus ein paar Jahre her und sozusagen, das „damals“ für mich. Wie sich das anhört,… Aber die Vergangenheit hat uns zu den Menschen gemacht, die wir heute sind. Hatte ich ja schon einmal darüber schwadroniert. Zur Ananassahnetorte,…

Ihre Frau B. war eine

begeisterte Schülerin in einer Realschule auf dem Lande.

Der Direktor, Herr Diethart Lehrmann, war ein unglaublicher Mann. Eloquent, kulturell höchst engagiert, politisch versiert, fordernd und fördernd. Bei der Weihnachtsfeier in meinem Abschlussjahr bat er mich darum, einen kleinen Text vor zu lesen. Er würde ihn mir dann am Abend geben. Das war nicht weiter überraschend, las ich doch schon immer gerne voller Enthusiasmus vor. OK, klingt jetzt doof, doch ich verstand mich gut mit ihm und liebte Deutsch. Also, außer die Stehgreifaufgaben in Grammatik, die waren mir immer sehr verhasst. Ich kann mich da an eine einsame und sehr schmerzende 6 erinnern,…

Hallo? Haben die im Kultusministerium schon einmal was von künstlerischer Freiheit gehört? Aber gut, heute, jetzt als Mama, kann ich nachvollziehen, dass man erst mal etwas sicher beherrschen muss, um dann kunstvolle Kapriolen schlagen zu können.

Sie müssen sich nun eine

volle Schulaula

vorstellen. Die wichtigen Würdenträger der Stadt, nebst dem gesamten Lehrkörper und etlichen Eltern, vor Weihnachten, versammelt. Die Presse natürlich auch anwesend, man möchte ja PR für die Schule machen, künftig wieder Gelder einsammeln können.

Die Aula war festlich gestaltet. Tannenduft und Zimt verströmt durch die Gestecke. Der  riesige Adventskranz mit den dicken roten Kerzen entzündet. Alle Gäste waren schick gekleidet, die Damen hübsch dekoriert, die Herren pomadiert.

Dann die Begrüßungsrede, abgelöst vom Blockflöteninferno. Uh, nach ein paar schrillen Verpfeifern und schrägen Tönen endlich eine homogene Klangfolge. Nun, Holzblockflöten, wie damals üblich, sollten nach einigen Jahren Verwendung durch Geschwisterkinder, ausgetauscht werden. Mein Herr B. durfte aus eben diesem Grunde, immer nur still mit greifen,…

Wieder ein Redner, der Bürgermeister dieses Mal. Fein, ich glaube ja, die Herren haben einen Ordner mit Festreden und halten im Turnus stetig die gleichen Ansprachen, immer nur die aktuellen Phrasen ausgetauscht.

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Dann ein bayerisches Ständlein, passend zu Weihnachten,

vom Gesangsgrüppchen. Enthusiastisch und inbrünstig vorgetragen. Und warum sind da immer nur Mädels dabei? Dürfen pubertäre Jungs im Stimmbruch nicht singen?

Die anwesenden Erwachsenen waren mittlerweile gebührend ergriffen. Der Glühwein, der in der Pause gereicht wurde, tat sein Übriges. Glasige Augen im ganzen Raum. Alle waren zufrieden mit sich, der Welt, den zuhause sich stapelnden Geschenken, dem geplanten Gänsebraten gefüllt mit Ente, darin ein Hühnchen, Stubenküken und Ei. Davor der politisch korrekt gefangene geräucherte Lachs an Fischrogen und handgeschüttelter Crème fraîche. Da kann man auch mal so einen Abend absitzen.

Dann kurz noch der Herr Lehrmann, kündigte die Martina aus der 10. Klasse an. Mich.

Herr Lehrmann war schon immer Fan von großem Kino und so ließ er die Aula abdunkeln. Es brannten nur noch die Kerzen am Adventskranz und eine bei mir, so dass ich sah, was ich da so lesen sollte.

Jetzt muss ich Ihnen gestehen, dass mir, während der ganzen Veranstaltung schon

gehörig der Arsch auf Grundeis

gegangen ist. Sehr unweihnachtlich, ich bitte die deftige Wortwahl hier zu entschuldigen. Doch ich hatte die Kurzgeschichte gelesen, kurz nachdem ein Hackbrettensemble losgelegt hatte. Und da ist mir die Spucke weg geblieben. Nicht vom Hackbrettgezitter,… Ich suchte panisch den Blick von Herrn Lehrmann, der mich beobachtet hatte. Und er nickte und lächelte. Uooooouuuuu!!

Ich also zum Pult, meine Eltern fürchterlich aufgeregt. Ich auch. Nicht wegen der Menschen, oder Weihnachten, oder weil ich alleine lesen musste. Nein – wegen dem Text, den ich lesen sollte.

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„Die drei dunklen Könige“

eine Geschichte über Weihnachten, von Wolfgang Borchert. Kennen Sie nicht? Sollten Sie aber! Wolfgang Borchert ist einer der großen Nachkriegsautoren Deutschlands, der 1947 mit nur 26 Jahren verstarb. Sein Erbe wird in der Internationalen Wolfgang Borchert Stiftung e.V. weiter getragen. Das Ziel dieser Gesellschaft ist es, in enger Zusammenarbeit mit dem Wolfgang-Borchert-Archiv in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg den Gedankenaustausch über Werk und Wirkung Wolfgang Borcherts zu ermöglichen. Wie wunderbar ist es, wenn Menschen, international ein gemeinsames Projekt befruchten. Ich freue mich sehr, diese Vereinigung gefunden zu haben und bin gespannt, welche interessanten Anstöße ich künftig noch mitnehmen darf.

Wolfgang Borcherts Sprache, die Sprache die ich an diesem Abend, als junges Mädchen, aussprechen sollte, war nüchtern. Realistisch, nicht verklärt, bedient er sich der Worte wie Schwerter. Aufrütteln, die Wahrheit sagen, die Vergangenheit, den Krieg aus der Sicht des Betroffenen.

Das ist wie bei einer Fusion. In den obersten Management Ebenen wird etwas entschieden. Doch wer aus diesem Level weiß, wie sich der Mitarbeiter an der Produktionslinie fühlt? Wer weiß, wie es demjenigen ergeht, der direkt Veränderungen spürt?

Ich liebe die Sprache, derer sich Borchert bedient. „Als er die Tür aufmachte (sie weinte dabei, die Tür),…“, da krieg ich Gänsehaut. Und mein Lieblingspart ist definitiv „Beinahe wie Kuchen, sagt der Mann und riecht am Holz, wie Kuchen. Ganz Süß“ Aber Sie sollten den Text einfach selbst mal eben bei Google suchen, dann können wir vielleicht gemeinsam darüber reden.

Wer weiß,

wie sich Krieg und all die Leiden und Folgen daraus anfühlen? Die entscheidenden Politiker? Die Entscheidungsträger am Schreibtisch?

Oder die heimkehrenden Soldaten? Die hungernden Familien? Die Frau mit dem neu geborenen Kind, oder der Mann, der zitternd an einem morschen Stück Holz riecht? Es riecht süß, wie Kuchen,…

Wer kann nachempfinden, welches Grauen, welche Ängste, welche Entbehrungen während und auch nach einem Krieg herrschen? Welche Leiden und Verstümmelungen ein Krieg in Körper und Seele hinterlassen kann?

All dem hat Wolfgang Borchert in seiner Geschichte Ausdruck verliehen. Und noch viel mehr, noch viel treffender. Weihnachtlich und verzweifelt zugleich.

Als ich mit Lesen fertig war, war im Saal lange nichts zu hören. Stille, ein unterdrücktes Husten, einige Taschentücher. Herr Lehrmann und ich suchten wieder unsere Blicke. Wissend, erfüllt, berührt und aufgewühlt. Unser Innerstes war nach Außen gebracht worden. Die Gefühle offenbart. Die Weihnachtskerze entflammt, der Saal abgefackelt – tosender Applaus.

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Wenn wir uns das alle

ein wenig mehr verdeutlichen würden. Mehr präsent machen, auf Erinnerungen, Texte von damals mal zurück greifen würden. Wenn wir alle endlich den Gedanken hinter Weihnachten begreifen würden. Den Leitgedanken erkennen,… Denken Sie wirklich, wir würden dann auf unserem Niveau weiter jammern? Befragen Sie doch die Menschen, die gerade Hilfe suchend zu uns nach Deutschland und Europa kommen. Reden Sie mit den Einwohnern Aleppos! Mit Menschen, die direkt vom Leid aus Krieg, Unterdrückung und Bruderhass gezeichnet sind.

Doch das ist nicht einfach. Meist nicht neutral, was wir hier von den Medien serviert bekommen. Wir haben Angst davor. Es ist unangenehm.

Doch auch im Alltag, im eigenen Ort, in der Arbeit, kann man zuhören, erkennen, lernen,… Auch Gesten können helfen. Die Hand reichen, ein Zeichen des Friedens. Lächeln. Jemanden Umarmen. Mal die Tüte tragen. Zeit und damit ein Stück von sich selbst schenken.

Hören Sie doch mal zu!

Erkennen Sie bitte einfach mal, was Sie alles haben! Und auch wenn es wenig ist, es gibt immer Menschen, die noch weniger haben.

Wir müssen einfach nur erkennen, worin unser Schatz besteht. Und diesen Schatz mehren und an alle weiter reichen, die davon etwas nötiger brauchen als wir. Wir dürfen wieder ein Stück mehr Mensch werden, menschlich. Dürfen Demut und Dankbarkeit mehr zeigen, lernen und unsere Kinder lehren.

Weihnachten steht vor der Tür. Wir haben alles. Uns geht es gut. Wir müssen niemanden die Faust ins Gesicht schlagen. Wir sollten unsere Häupter in Demut senken und einfach glücklich sein.

Von Herzen, für Sie!

In diesem Sinne,

Ihre FrauBpunkt

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